Willkommen
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Messie-Falle
„Ich kann es nicht fassen“ war die Antwort von Frau Irene über die Banalität der Fernseh-
Sendung „Raus aus der Messie-Falle“.
Frau Irene ist am Messie-Syndrom erkrankt und ist erschüttert über dieses RTL 2 Fernseh-
Format.
„Verraten und verarscht komme ich mir vor versprechen Heilung in drei Tagen, lächerlich.
Bei meiner ersten Begegnung mit dieser schwer an Messie-Syndrom erkrankten Frau war
nichts zu bemerken was hinter der freundlichen Fassade steckt. Ein Mensch wie man ihn
Tag täglich zufällig trifft. Es war eher der Zufall dass aus einer flüchtigen Begegnung
Freundschaft wurde mit dramatischem Verlauf.
Eher nebenbei erwähnt ich meiner Freundin gegenüber Frau Irene, ihre Reaktion
„Diese Drecksau“. Auf diese drastische Art erfuhr ich von dem Schicksal.
Es dauert sehr lang bis Fr.I. mir von ihrem Leidensweg erzählte.
„Ich hatte ein wunderbares Leben. Ein erfolgreich abgeschlossenes Studium, einen super
Job, keine Geldsorgen, einen liebvollen Mann an meiner Seite und ich war schwanger,
dann plötzlich war alles anders. Durch eine ärztliche Fahrlässigkeit starb mein Baby
während der Geburt. Ein Schock den ich bis heute nicht überwunden habe. Mein Mann
verließ mich, das Resultat war eine schmutzige Scheidung, dazu noch ein drei Jahre lang
andauernter Prozess wegen fahrlässigerTötung mit vernichtendem Resultat:
„Eine Schuld des Arztes konnte nicht nachgewiesen werde.“
Zorn, Enttäuschungund unbändige Wut auf den Arzt. Ein Amoklauf kam mir in den Sinn.
Ich sehe mich noch heute in unserem damaligen Kinderzimmer sitzen und kann die
Seeelenqual spüren so als wäre es gestern gewesen, obwohl die Tragödie schon vor neun
Jahren passiert ist. Neun Jahre der Verzweiflung und Trauer allein in dem Chaos. Es stinkt
und es versinkt alles im Müll. Halden von Dreck türmen sich, verteilt über meine ganze
Wohnung. Was mit einer anfangs noch kontrollierter Sammelleidenschaft begann wurde
schnell zu einer manischen Passion. Erst waren es nur kleine Figuren die ich in allen
Varianten kaufte. Dann endeckte ich den Flohmarkt. Jedesmal wenn ich am Flohmarkt war
kam ich voll bepackt nach Hause. Die gekauften Sachen füllten langsam meine Wohnung.
In der Zeit in der ich dieses Treiben noch einiger Massen unter Kontrolle hatte stellte ich
den Kram noch ordendlich in die Regale später stapelte ich in Säcken. Eines Tages war
alles zugestellt. Ich füllte mich aber sauwohl es gab mir irgendwie das Gefühl von
Sicherheit. Ein Püppchen da ein Vase dort, ein herrliches Chaos. Zu diesem Zeitpunk
entsorgte ich den Müll noch regelmässig bis ich dann eines Tages gehört hatte das Pizza-
Kartons, Plastikflaschen usw. Geld bringen würden. Von da an sammelt ich wild
durcheinander. Geld war nicht das Motiv denn zur Arbeit ging ich und damit verdiente ich
gutes Geld, ich bildete mir den vermeidlichen Müll-Reichtum nur ein da ich jeglichen Sinn
zum Normalen nach und nach verlor. Es dauerte nicht lange und ich räumte überhaupt
nichts mehr weg. Ich wusch das Geschirr erst dann wieder ab wenn ich es brauchte. Alte
vergammelte Lebensmittel überließ ich dem natürlichen Verlauf den sogenannten
Schimmel. Meine Haustiere waren Ungeziefer, Schädlinge die es sich in meinen
Lebensmittel gut gehen liessen, im Sommer geselten sich auch noch Fliegen dazu und
manche Maus bevölkerte den Müllberg und verstarb darunter. Ich glaubte wirklich daran
mit meinen stinkendem Müll könnte ich viel Geld machen. Es war dieser Moment wo ich
jeden Bezug zur Realität verlor und das Wohlfühlen schlug schlagartig in Verzweiflung und
Depression um. Jetzt begann die Zeit wo ich mich jeden Tag aufraffen musste um
überhaupt noch zur Arbreit zu gehen, ich fühlte mich auch in mitten meiner Kollegen nicht
mehr wohl aber es war dann doch die Ablenkung die mich jeden Morgen aufstehen ließ.
Mein zu Hause begann ich mehr und mehr zu hassen und dennoch hortete ich immer
weiter. Eine gewisse Kaufsucht gesellte sich noch hinzu und der Unterschied zwischen
Müll und Trödel verwischte sich immer mehr in meiner Wahrnehmung. Wie oft habe ich
mich in dieser Zeit nach meinem alten Leben gesehnt und mir gesagt jetzt ist Schluß hör
doch endlich auf damit, nimm den Besen und räum endlich auf, ohne Chance die Sucht
hatte mich fest im Griff. Selbstmord-Gedanken wechselten mit Hoffnung um anschließen
wieder in einer tiefen Trauer zu enden. Immerwieder versuchte ich es. Die innere Stimme
sagte wozu, warum, ist doch sowieso alles Scheiße, du bist Scheiße.
Neun lange Jahre zieht sich das schon so dahin ich weiß nicht wie lange ich das noch
aushalte. Vielleicht bekomme ich die Chance nochmals von vorne zubeginnen oder ich bin
verzweifelt und mutig genug mich selbst umzubringen, schnell und schmerzlos denn
das langsame Umbringen hat schon lange begonnen. Und ich schäme mich auch
fürchterlich. Meine einzige Sorge ist dass jemand etwas von diesem Chaos mitbekommt
deshalb die Strategie: „Sorge wenigstens dafür das deine Kleidung in Ordnung ist, dass du
nicht stinkst und falle nie in irgend einer Weise auf, bewahre dein Gesicht zumindest in der
Öffentlichkeit, dir gegenüber hast du es ohnehin schon verloren, dein Spiegelbild ist die
Verwahrlosung“. Ein winzig kleiner sauberer Platz etwa zwei Quadratmeter auf den ich
penibel achte ist mir geblieben.
Niemand soll Einblick bekommen was sich hinter meiner Haustür abspielt. Ich habe schon
seit Jahren keine Freunde mehr zu mir eingeladen, die Ausreden dafür sind manchmal
haarsträubend aber wirkungsvoll, ich habe mich dabei zu einer wahren Meisterin
entwickelt. Nachbarn werden vor der Haustür stehen gelassen und der Postbote am Gang
abgefangen um ja nicht Einblick in mein Innenleben gewähren zu müssen. Einem Kampf
den ich täglich gegenüberstehe. Ein Kampf der aber nicht zu gewinnen ist ohne Hilfe von
draußen, nur die Scham ist zu groß um Hilfe in Anspruch zu nehmen. Dass ich im Haus als
Aussenseiterin bezeichnet werde ist mir schon lange bekannt und an die Bezeichnung
„schrullige Drecksau“ habe ich mich gewöhnt. Es würde mich erschrecken wenn es anders
wäre, da hätte ich wieder die Angst mich preisgeben zu müssen. Man macht sich so seine
Gedanken über mich, bildet ein Urteil das der Realität zwar entspricht aber die Ursache
dafür interessiert keinen.
Das Versteckspiel hat Risse bekommen und ich weiß dass die Nachbarschaft mehr über
mich weiß als mir lieb ist dennoch halte ich still und kämpfe gegen mich und meine
Dämonen und mache so weiter immer weiter......
Es ist ein Spagat zwischen dem nötigen und dem unnötigen gesprochenen Wort. Nur ja
nicht hinter die Fassade blicken lassen, die alle verstehen dich sowieso nicht, sie sind eitel
und bestrebt nach Bestätigung der eigenen Person, das ist schon lange nicht mehr meine
Welt. Wie herrlich war es doch wie ich noch zu ihnen gehörte, eine von denen war und
den lieben Gott lieben Gott sein ließ. Heute bin ich es gewohnt im Abseits zu stehen und
es tut weh verdammt weh und ich bin eifersüchtig auf ihre Frische, Gesundheit, auf ihr
Leben. Die Depressionen übermannen mich täglich auf das Neue halten mir immerwieder
den Spiegel vor wie ICH lebe ohne den Ausweg zu kennen. Die Worte „du Drecksau
“ hallen immer lauter mit dem Wissen dass ich wirklich einen Drecksau bin! Ich lebe, und
ich lebe auch wieder nicht. Das Bewusstsein dieses Leben ein lebenlang leben zu müssen
ist
zermürbent, ich kann nicht mehr. Jeder Tag gleicht dem anderen, jeder Tag eine Qual. Wie
soll es weitergehen? Und immer diese Trauer tief in mir drinnen. Der Gestank erfüllt bereits
den Hausflur, die Nachbarschaft tobt und der eingeschrieben Brief von der
Hausverwaltung verhieß nichts Gutes. Wie oft habe ich mir schon vorgenommen mich
jemanden anzuvertrauen um mal sagen zu können was Sache ist. Fest entschlossen stand
ich schon mal auf der Matte einer Arbeitskollegin zu der ich noch einigermassen ein
Verhältnis habe um sie in meine missliche Lage einzuweihen. Die Tür öffnete sich und all
der ganze Mut war weg und die nächste Lüge wurde aufgetischt.
Kein gebenes Versprechen an mich selbst konnte bis jetzt überzeugent genug sein um
das Dilemma zu beenden.“ Der erste Selbstmord-Versuch war auch gescheitert, sogar
dazu bin ich nicht einmal fähig. Ein zweiter Versuch zum Selbstmord? Ich denke darüber
nach, aber das wiederum mögliche Scheitern lässt mich noch zögern. Die Hölle habe ich
schon auf Erden, was kommt danach...?“
ICH MUSS WAS ÄNDERN ABER WIE!!!
Bitte hilf mir!
Ich habe Frau Irene’s Hilfeschrei ernst genommen und es geschafft dass sie sich helfen
lässt. Seit fünf Monaten befindet sie sich in Psycho-Therapie. Es konnte erreicht werden
dass wenigstens der Müllberg einwenig geschrumpft ist. Auch hatte sie schon die Kraft sich
von Dinge zu trennen die an gewisse Errinnerungen gebunden waren. Mit Hilfe ihrer
Therapeutin die ihr eine große Stütze ist kommt die Lebensfreude allmählich zurück. Um
ein normales Leben führen zu können werden allerdings noch Monate vergehen.
Ich kann Frau Irene verstehen wenn sie voller Zorn übergewisse Fernseh-Produktionen ist
die eine Heilung in wenigenTagen versprechen.
Brigitte Hirmann


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